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Unterscheidung von monotopen und polytopen Texten

 

Die Unterscheidung von monotopen und polytopen Texten geht auf Roland Harweg zurück. Sie erweitert diejenige zwischen monologischen und dialogischen Texten, deren Unterscheidungskriterium allein der personale Aspekt ist: Wie viele Sprecher sind an der Textproduktion beteiligt? Die Unterscheidung von monotopen und polytopen Texten berücksichtigt dagegen auch lokale und temporale Aspekte:

``[Polytope Texte sind, SR] Texte, die Teile aufweisen, deren Konstitution von verschiedenen deiktischen Örtern aus erfolgt. Diese Örter können entweder personale oder lokale oder temporale sein. Sind sie personale, so ist der polytope Text beispielsweise ein dialogischer, sind sie lokale, so ist er beispielsweise ein Telefongespräch, und sind sie temporale, so ist er beispielsweise ein die Bedingungen der Texthaftigkeit erfüllender Briefwechsel...gif''

Diese ``deiktischen Örter'' sind nicht alternativ, sondern die Polytopie nimmt von der personalen über die lokale zur temporalen Kategorie stetig zu. Lokale Polytopie bedeutet immer auch personale: Ein Telephongespräch erfordert zwei Textproduzenten. Und eine temporale Polytopie ist i.d.R. gleichzeitig auch eine personale und eine lokale (wenn man von Fällen absieht wie dem, daß ein Selbstmörder seinen Abschiedsbrief an der Stelle liegenläßt, wo er ihn geschrieben hat). 53% der Korpusartikel sind monotope Texte. Sie haben einen Produzenten, der seinen Beitrag mit einer einzigen bestimmenden Intention (unidirektionalgif) in ein Diskussionsforum postet. Solche Artikel erfüllen eindeutig die Textualitätsanforderungen, die Rolf für sein Textsortenklassifikation stellt. 47% der Artikel sind dagegen polytop. Zwar hat jeder Artikel einen (durch die im Header angegebene E-mail-Adresse) genau definierten Absender: Das ist die Person, die den Artikel in seiner vorliegenden Form ins Diskussionsforum gepostet hat. Der Text selber kann jedoch von unterschiedlichen Produzenten stammen, wie das folgende Beispiel (a064)  zeigt:

                   fido.ger.windows.tp
                       RE:COMPRESS
 3 Tue, 18 Jul 1995 14:13:16
 4 Lines 22
 5 Stephan_Hartmann@p3.f409.n2476.z2.fido.sub.org
    Stephan Hartmann at Tripple-DAT wegen <ohne Rauschen>
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 9 Hallo Stefan,
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11 am Samstag, 15 Juli 1995 schrieb Stefan Frings an Stephan Hartmann:
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13  SF> Hallo Stephan,
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15  SH>> Hat jemand von Euch das Programm COMPRESS von Microsoft
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17  SF> Bei Borland Pascal 7 ist es im BIN-Verzeichnis drin. Man darf es
18  SF> nicht mit dem Programm weitergeben, aber man darf es
19  SF> uneingeschraenkt verwenden.
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21 Danke, fuer den Tip.
22 Manchmal weiss man einfach nicht, was man auf seiner Platte hat :-((
23 Ich hab das Windowsverzeichnis durchgesucht, mein Delphiverzeichnis, meine
24 Utilitiesverzeichnisse ... aber das BP7-Verzeichnis, auf die Idee bin ich
25 nicht gekommen.
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28 Tschuess,
29          Stephan ...

Dokumentiert ist ein Gespräch von Stefan Frings (SF) und Stephan Hartmann (SH), der den Artikel gepostet hat (Z. 5/6). SH ist dabei der Produzent der Zeilen 9-11, 15, 21- 29, SF der Zeilen 13, 17-19. SF hat seinen Beitrag am 15. Juli gepostet (Z. 11), SH hat die Zeilen 9-11 und 21-29 am 18. Juli abgeschickt (Z. 3). Eine Zeitangabe für Z. 15 wird nicht gegeben. Aufgrund der Gesprächslogik muß die Frage in Z. 15 aber vor der Antwort in Z. 17 gepostet worden sein, also vor dem 15. Juli. Es liegt eine dreifache Polytopie vor. Der personale Aspekt besteht in den unterschiedlichen Textproduzenten, der temporale in drei unterschiedlichen Produktionszeiten. Die lokale Polytopie darf angenommen werden, weil Personen, die denselben Ort teilen, eine Interaktion mit emotionalen Anteilen wie die vorliegende nicht in einem elektronischen Diskussionsforum durchführen würden.


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rabas000@goofy.zdv.uni-mainz.de