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Abtönungspartikeln

 

Abtönungspartikeln sind unflektierbare Wörter mit bestimmten Funktionen, deren Frequenz in der gesprochenen Sprache höher ist als in der geschriebenengif. Folglich müßte das Korpus der Diskussionsforenartikel diese Elemente häufiger aufweisen als ein Korpus der geschriebenen Sprache. Als solches wird hier das Korpus von F.W. Kaeding bzw. die Auswertung von Kaedings Ergebnissen durch Wolf Dieter Ortmann herangezogen. Der Stenograph Kaeding führte von 1891 bis 1897 Häufigkeitsuntersuchungen an einem insgesamt 10.910.777 Wortformengif umfassenden Textkorpus der geschriebenen Sprache durchgif. Weil die historisch ausgerichtete Sprachwissenschaft im Deutschland der Jahrhundertwende an solchen quantitativen Untersuchungen nicht interessiert war, hatte das Unternehmen rein praktische Zielsetzungen: Die Kenntnis der Häufigkeit von Wörtern war für die Gestaltung stenographischer Zeichen und die Einrichtung der Setzkästen in Druckereien wichtig. Aufgrund dieses praktischen Zwecks wurden Wörter``als Zeichenfolge[n] zwischen Leerstellengif'' aufgefaßt und formal ohne Rücksicht auf Kontext und Funktion ausgezählt (selbst die Bestandteile trennbarer Verben wurden bei entsprechend flektierter Form unzusammenhängend aufgenommen). Im Häufigkeitswörterbuch der deutschen Sprache wurden nur die wichtigsten Ergebnisse der gewaltigen Zählung veröffentlicht, das Datenmaterial dann eingelagert. Später wurde es zunächst von dem Sprachstatistiker Meier für neue Untersuchungen verwendetgif, dann für verschiedene Arbeiten an der Technischen Hochschule München in computerlesbare Form gebrachtgif. Ortmann griff 1974 diese maschinenlesbare Fassung von Kaedings Ergebnissen auf und sortierte sie rechnerunterstützt neu. Ergebnis war eine Buchreihegif, die die Häufigkeit von Wörtern, Wortarten etc. in unterschiedlichen Listen präsentiert. Obwohl Kaedings Korpus mit Texten v.a. aus dem 19. Jahrhundert kein Material umfaßt, das 1974 nicht schon mindestens 80 Jahre alt war, ist Ortmann von seiner Brauchbarkeit so überzeugt, daß er es als Grundlage für die didaktisch intendierten Listen für geeignet hält (zur Erstellung von Basiswortlisten etc. für den Unterricht in Deutsch als Fremdsprache). Die Listen, mit denen hier die Auszählung des Korpus der Diskussionsforenartikel verglichen werden, umfassen die 7995 häufigsten Wortformen der Kaeding- Zählung, womit ``87,4Textwörtergif'' und alle hier zu untersuchenden Abtönungspartikeln erfaßt sind.

Die Duden-Grammatikgif nennt als Abtönungspartikeln folgende Wörter: aber, ja, auch, denn, doch, eben, halt, etwa, mal, nur, schon, vielleicht, wohlgif. Diese Wörter sind allesamt multifunktional, d.h. von der isolierten Wortform allein sind sie nicht als Abtönungspartikeln zu klassifizieren. Die Wortart Abtönungspartikeln ist keine Formklasse, sondern eine Funktionsklasse innerhalb der Gruppe der nicht flektierbaren Wörter bzw. der Partikelngif. Abtönungspartikeln sind ``existimatorische Angaben'' im Satz, d.h. ``sie geben eine Einschätzung des Sachverhalts durch den Sprecher wieder...gif''. Damit wirken sie im illokutiven Bereichgif. Sie sind von anderen Partikeln nur pragmatisch, d.h. durch die Funktion in der konkreten Äußerung abzugrenzen. Diese Abgrenzung ist im Kontext der Diskussionsforenartikel möglich. Vergleichbare Zahlen sind aus Ortmanns Listen aufgrund des fehlenden Kontextes aber nicht zu ziehen. Ein Vergleich muß also auf der Ebene der Wortartenklassifizierung Ortmanns stattfinden. Über Rechenoperationen, die im folgenden erläutert werden, sind zwar aus Frequenzzahlen von Wörtern, die potentiell Abtönungsfunktion haben, Zahlen zu gewinnen, die sich an das Vorkommen von Wörtern annähern, die in der Äußerung tatsächlich Abtönungsfunktion haben. Das Vergleichsoptimum, das die Forenartikel erlauben würden, ist jedoch nicht erreichbar.

Ortmann gibt für die genannten 13 Wörter in der Liste D, `Wortart-Sortierunggif', folgende Frequenzen wieder:

 
aber (26/28) 44.201 eben (21/26) 5.683
ja (26/29) 12.527 halt (11/26/29/30) 629
auch (26) 60.750 etwa (26) 3.744
denn (26/28) 18.488 mal (11/28/30) 1.714
doch (26/28) 21.994 nur (26) 39.507
schon (11/26) 16.727 vielleicht (26) 5.081
wohl (26/30) 11.356
Tabelle 3.4: Wortart-Sortierung (Frequenzen)

 

Die Zahlen in Klammern symbolisieren eine grobe Bestimmung der Wortarten, denen die Wortformen zugeordnet werden könnengif. Sie fungieren in bezug auf die Wortarten als Merkmalsmatrix der Wörter. Die meisten Wörter sind mehreren Wortarten zuzuordnen, weil die kontextlose Auflistung zahlreiche Homonymien bzw. Homographien mit sich bringt. Z.B. wird bei der Zählung der Buchstabenfolge mal (Merkmalsmatrix 11/28/30) zugleich der Imperativ mal! des Verbs malen, das Substantiv das Mal, die `Mathematikpartikel' mal (z.B. ``7 mal 5 ist 35'') und die Abtönungspartikel mal erfaßt. Eine eigene Klasse für Abtönungspartikeln gibt es nicht. Sie verbergen sich in der hier vorliegenden Merkmalsmatrix hinter den Nummern, die unflektierbare Wörter bezeichnen, also 26, 28, 29. Durch zwei verschiedene Rechenoperationen können Anteile der Nummer 11, 21, 30 aus der Frequenzzahl ausgesondert werden.

Relativ einfach und noch durch Auszählung abgesichert ist die Aussonderung der Klasse 30, Substantive, mit Hilfe der Liste LII, `Sortierung nach den 110 Homographentypengif'. Die Liste LII weist für die Wörter halt, mal, wohl einen Anteil großgeschriebener Formen (Halt, Mal, Wohl) aus, durch deren Abzug man `substantivfreie' Frequenzzahlen erhältgif. Für die Aussonderung der Klassen 11, Verben, und 21, flektierbare Adjektive, muß dagegen auf statistische Mittel zurückgegriffen werden. Die Liste SII, `Statistik der 25 Wortart-Subklassengif', führt den prozentualen Anteil jeder der 25 Klassen aufgif. Ein Beispiel: Bei schon (Merkmalsmatrix 11/26) sind das für die Klasse 11 6,679% und für die Klasse 26 10,456% aller Vorkommen im laufenden Textgif. 6,679% haben dabei einen Anteil von 38,98% an der Summe der Klassen 11 und 26 (6,679+10,456). Wenn man die Frequenzzahl 16.727 um 38,98% auf 10.207 verringert, hat man statistisch die Anzahl der Wörter der Klasse 26. Nach Durchführung der beiden Rechenoperationen ergibt sich folgendes Bildgif:

 
aber (26/28) 44.201 eben (26) 3.683*
ja (26/29) 12.527 halt (26/29) 217*
auch (26) 60.750 etwa (26) 3.744
denn (26/28) 18.488 mal (28) 330*
doch (26/28) 21.994 nur (26) 39.507
schon (26) 10.207* vielleicht (26) 5.081
wohl (26) 10.991*
Tabelle 3.5: Ergebnis

 

Eine weitere Spezialisierung dieser Zahlen im Hinblick auf Abtönungspartikeln ist nicht möglich. Die Formulierung der Beschreibung der Klasse 28 mit ``Konjunktion; Relativ-Elementgif'' legt zwar eine Aussonderung zunächst nahe. Weil damit aber mal aus der Untersuchung entfernt würde, läßt sich die Formulierung nicht als abtönungspartikelausschließend lesen. Nach einer Umrechnung der absoluten Frequenzzahlen in prozentuale Anteile am Gesamtkorpus von 10.910.777 Wörtern ist die Aufbereitung der Daten Ortmanns abgeschlossen.

Analog wird jetzt die Auszählung im Korpus der Diskussionsforenartikel durchgeführt. Das bedeutet, daß lediglich Formen von Substantiven, Verben und flektierbaren Adjektiven nicht mitgezählt werden, die Abtönungspartikeln aber im übrigen mit den sonstigen unflektierbaren Wörtern zusammen erfaßt werden. Die absoluten Frequenzzahlen werden anschließend in prozentuale Anteile am Korpus von 36.181 Wörterngif umgerechnet.

Die Ergebnisse sind in Tabelle 6 auf Seite gif dargestellt.

In der Spalte ``Vergleich'' ist der Faktor angeführt, um den sich die relativen Anteile bei Ortmann und im Korpus der Diskussionsforenartikel unterscheiden. Nennenswerte Unterschiede (Faktoren größer als 1,5) finden sich bei ja, denn, doch, halt, mal, schon

 
Diskussionsforenartikel (DFA) Ortmanns Listen (O) Vergleich
Wort Anteil absolut Anteil relativ Anteil absolut Anteil relativ Unterschiedsfaktor
aber 126 0,348% 44201 0,405% 1,2 O>DFA
ja 105 0,290% 12527 0,115% 2,5 DFA>O
auch 207 0,572% 60750 0,557% (1)
denn 24 0,066% 18488 0,169% 2,6 O>DFA
doch 34 0,094% 21994 0,202% 2,2 O>DFA
eben 16 0,044% 3683 0,034% 1,3 DFA>O
halt 7 0,019% 217 0,002% 9,5 DFA>O
etwa 12 0,033% 3744 0,034% (1)
mal 81 0,224% 330 0,003% 75,3 DFA>O
nur 101 0,279% 39507 0,362% 1,3 O>DFA
schon 63 0,174% 10207 0,094% 1,9 DFA>O
vielleicht 20 0,055% 5081 0,047% 1,2 DFA>O
wohl 21 0,058% 10991 0,101% 1,7 O>DFA
Tabelle 3.6: Vergleich DFA - Ortmann

 

und wohl. Am auffälligsten ist der Unterschied bei halt (mit 9,5) und mal (mit 75,3). Diese Wörter sind im Korpus der Diskussionsforenartikel sehr viel häufiger zu finden als bei Ortmann, d.h. im Korpus der geschriebenen Sprache. Die Deutlichkeit erklärt sich daraus, daß halt und mal als unflektierbare Formen tatsächlich fast ausschließlich mit Abtönungsfunktion vorkommen. Die Funktionsüberprüfung im Kontext der Diskussionsforen ergibt das für mal zu 83% - der Rest sind temporale Adverbien -, für halt sogar zu 100%. Für das ebenfalls in den Diskussionsforen häufiger als bei Ortmann auftretende ja (2,5) ergab die Funktionsüberprüfung für die Abtönungspartikeln einen Anteil von 51% (der Rest sind Antwortpartikeln oder präzisierende Konjunktoren). Für schon (1,9) gilt diese Erklärung zunächst nicht. Als Abtönungspartikel in mehreren Schattierungen (Engel unterscheidet schon 1-5 ) ist schon nur zu 14% verwendet. Allerdings hat die Mehrzahl der Fälle, in denen schon temporale Rangierpartikel mit der Bedeutung `bereits' ist, mindestens eine abtönende Nebenfunktiongif. Daß die Wörter denn, doch und wohl bei Ortmann häufiger vorkommen als in den Diskussionsforen, scheint der These zu widersprechen. Die Funktionsüberprüfung der Wörter im Artikelkontext ergibt jedoch, daß wohl (1,7) nur zu 14% als Abtönungspartikel verwendet wird, zu 86% als modales Adverb mit der Bedeutung `wahrscheinlich'. Ähnlich, wenn auch nicht ganz so deutlich, sieht es bei denn (2,6) aus: Nur zu 46% wird denn als Abtönungspartikel verwendet, sonst als kausaler Konjunktor. Bei doch widerspricht das quantitative Datum der Theorie. Die Funktionsüberprüfung weist einen Anteil von 82% an Abtönungspartikeln aus. Demnach sollte doch in den Diskussionsforen häufiger vorkommen als bei Ortmann, was nicht der Fall ist. Auch wenn man zum konzessiven Konjunktor doch die formal und funktional eng verwandte Form jedoch rechnet, bleibt der Anteil der Abtönungspartikeln in den Artikeln bei 60%. Eine mögliche Erklärung für dieses überraschende Faktum ist, daß der Konjunktor (je)doch der gehobenen Sprache angehörtgif, das semantische Merkmal [+altmodisch] angenommen hat und deshalb von den Netzwerkern viel seltener verwendet wird als im Kaeding-Korpus aus dem letzten Jahrhundert. Historische Lexikonforschung könnte ggf. zeigen, daß doch als Konjunktor im 19. Jahrhundert so hochfrequent war, daß selbst ein wesentlich höherer Anteil an doch als Abtönungspartikel in der Sprache der elektronischen Diskussionsforen nichts daran ändert, daß das Wort doch (in seinen unterschiedlichen Funktionen) im 19. Jahrhundert häufiger ist als heute.

Die Wörter aber, auch, eben, etwa, nur und vielleicht kommen in beiden Korpora in ungefähr gleicher Häufigkeit vor. Die Funktionsuntersuchung zeigt, daß bei aber, auch, etwa, nur und vielleicht die Abtönungsfunktion quantitativ nicht primär ist. Die anderen Funktionen der Wörter - aber als adversativer Konjunktor, auch und etwa als Gradpartikel, nur  als adversativer Konjunktor, Rangier- und Gradpartikel, vielleicht als Modalpartikel - sind nicht typisch für die geschriebene oder gesprochene Sprache. Eben als Abtönungspartikel ist mit 69% in den Artikeln deutlich häufiger als eben als Gradpartikel mit der Bedeutung `gerade'. Folglich ist eben insgesamt in den Diskussionsforen häufiger zu finden als im Kaeding- Korpus, wenn auch nur um den Faktor 1,3.

Der quantitative Vergleich zeigt, daß Abtönungspartikeln in der Sprache der elektronischen Diskussionsforen wesentlich häufiger vorkommen als in der sonstigen geschriebenen Sprache. Auf den Einwand hin, das Kaeding- Korpus, auf dem Ortmanns Frequenzlisten beruhen, sei veraltet und nicht mehr repräsentativ, reagiert Ortmann selbst mit dem Argument, ``daß es nach wie vor kein auch nur annähernd so großes Textcorpus für das Deutsche gibt, für das Wortindices in vergleichbarer Weise nach Sachgebieten differenziert vorlägengif.'' Das gilt auch heute noch: Nach Darstellung Martinsgif liegen unabhängig von Kaedings Material nur kleinere Frequenzuntersuchungen der Schriftsprache vor, die schon Ortmann kennt und zum Vergleich heranziehtgif. Man kann es also als repräsentative Sammlung gesprochener Sprache gelten lassen und hat mit der Frequenz der Abtönungspartikeln, einem Phänomen aus dem Symbolfeld, ein erstes Anzeichen für eine gewisse mündliche Prägung der Schriftlichkeit der elektronischen Diskussionsforen.

In der gesprochenen Sprache (mediale Mündlichkeit) ist die Frequenz der Abtönungspartikeln noch höher. Aber auch Ruoffs Häufigkeitswörterbuch gesprochener Sprache auf der Basis eines Korpus von 500.000 Wörterngif klassifiziert im Wortartenbereich nicht so sauber, daß ein direkter Vergleich mit den potentiell exakten Zahlen für Abtönungspartikeln im Korpus der Diskussionsforenartikeln möglich wäre. Abtönungspartikeln finden sich in Ruoffs Klassifikation unter ``Partikeln'', ``Konjunktionen'' und ``Adverbien''. Aber wird z.B. nur als ``Konjunktion'' aufgeführt, nur lediglich als ``Adverb'', und im Falle der Klassifikation von ja als ``Partikel'' gibt es keine Unterscheidung der Funktionen `Antwort-' und `Abtönungspartikelgif'. Zudem enthalten seine Listen eine große Anzahl sog. ``z-Belegegif'' ohne Zahlenangaben, wodurch die Abtönungspartikeln denn, etwa, mal und wohl ohne Frequenzangaben bleiben. Entsprechend vorsichtig sind die Zahlen zu bewerten. Der Vergleichbarkeit halber werden die Funktionen `Partikel', `Konjunktion' und `Adverb' summiert. Tabelle 7 zeigt die prozentualen Anteile im Vergleich mit dem Korpus der Diskussionsforenartikel (DFA):

 
aber ja auch doch eben halt nur schon vielleicht
DFA 0,348 0,290 0,572 0,094 0,044 0,019 0,279 0,174 0,055
Ruoff 0,479 1,221 1,054 0,117 0,163 0,517 0,05 0,458 0,071
Tabelle 3.7: Vergleich DFA - Ruoff

 

Mit Ausnahme von nur, das wie oben angemerkt nicht in erster Linie Abtönungsfunktion hat, sind die Anteile in Ruoffs Korpus stets höher als die im Diskussionsforenkorpus.


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