Die Untersuchungsthese, daß die geschriebene CVK Aspekte von Mündlichkeit und Dialogizität beinhaltet, wie es bisher in geschriebenen Texten nicht vorkam, führt zu einer methodologischen Problematik. Diese These zu erörtern setzt implizit die Überzeugung voraus, daß es Analysekategorien gibt, denen zufolge bestimmte sprachliche Qualitäten als `typisch schriftlich', gewisse andere als `typisch mündlich' zu klassifizieren sind. Fiehler betont dagegen völlig zu Recht, daß die Analyse der Mündlichkeit (gesprochene Sprache) andere Analyse- und Beschreibungskategorien verlangt als diejenige der Schriftlichkeit (geschriebene Sprache). Nun hat die Analyse der geschriebenen Sprache eine jahrhundertelange, sogar jahrtausendelange Tradition, während sich die Sprachwissenschaft erst seit wenigen Jahrzehnten mit der gesprochenen Sprache als gleichwertiger Form von Sprache beschäftigt. Es gibt noch kein ausgebildetes Kategoriensystem für die gesprochene Sprache. Fiehler schreibt:
``Resultat ist so, daß das Sprachbewußtsein von der GSCHS [geschriebenen Sprache, SR] geprägt ist. Dieses schriftdominierte Sprachbewußtsein ist damit aber auch zugleich zwangsläufig die Kontrastfolie für das Verständnis und die Erkenntnis von GSPS [gesprochener Sprache, SR]. [...] So werden Besonderheiten der GSPS zwangsläufig immer als Abweichungen von den in der GSCHS vorgefundenen Verhältnissen beschrieben ...''
Wenn man völlig andere Analyse- und
Beschreibungskategorien annehmen muß, ist ein Vergleich
geschriebener und gesprochener Sprache prinzipiell
unmöglich. Rath sieht Schriftlichkeit und Mündlichkeit
``in einem komplementären Sinn''
zueinander stehend. ``Die
Unterschiedlichkeit der Produkte von gesprochener und
geschriebener Sprache - verschiedene
Gebrauchshäufigkeiten und unterschiedliche
Charakteristika - sind zurückzuführen auf
unterschiedliche Realisations- und Kommunikationsbedingungen
.''
Folglich muß er in seiner
Bestandsaufnahme des Gegenwartsdeutschen die
Schriftlichkeit streng von der Mündlichkeit trennen. Das
Problem stellt sich für die vorliegende Untersuchung
deshalb nicht, weil dadurch, daß in der These mündliche
Charakteristika in der Schriftlichkeit behauptet werden,
die strikte Komplementarität aufgehoben ist. Phänomene
der Mündlichkeit dürfen hier berechtigterweise als
Abweichung von der Schriftlichkeit untersucht werden,
weil die untersuchten Daten eindeutig im graphischen Kode
vorliegen. Sie stellen keine problematische Zwischenform
dar, wie es z.B. transkribierte Gespräche sind.
Sonst wird hier - wie schon in der Erörterung der kommunikationstheoretischen Grundlagen (Kap. 1.4.2) dargestellt - ein Begriffs- und Methodenpluralismus vertreten. Sofern die theoretischen Grundlagen klar ausgewiesen werden, wird jedes Analyseinstrument eingesetzt, das Erkenntnisgewinn verspricht. Das rechtfertigt z.B. auch auf den ersten Blick widersprüchliche Beschreibung von Artikeln sowohl mit den Mittel der (monologisch definierten) Textsortentheorie Rolfs (Kap. 3.1.4) als auch mit denjenigen der Gesprächsanalyse (Kap. 3.2.2).