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Exkurs: Netzdemokratie vs. Firmenmonopole

 

``Die Entwicklung der privaten Datennetze ist eng verbunden mit radikal-demokratischen Utopien ihrer Nutzer. Schlagworte wie `free flow of information', `Informationsdemokratie' und `offene Netze' spiegeln die verschiedenen Facetten einer ideologischen Position wieder, die vor allem zur Gründerzeit der Netze in der Diskussion standgif.''

Die Forderung nach einem herrschaftsfreien rationalen Diskurs wird auch heute noch von der Mehrzahl der Nutzer erhoben - unabhängig von der Organisationsform des jeweiligen Netzwerksgif. Am reinsten verwirklicht ist die `Netzdemokratie' jedoch im USENET-Konzept: bei der Einrichtung neuer Diskussionsforen. Solche Diskussionsforen entstehen auf die Anregung einzelner Netzwerker in einem basisdemokratischen Abstimmungsverfahren in drei Schrittengif. Im ersten Schritt regt ein Netzwerker die Gründung oder Umstrukturierung von Diskussionsforen an. Der Vorschlag wird in einem sog. Request for Discussion (RfD) der Netzöffentlichkeit im für solche Verfahren vorgesehenen Forum de.admin.news.announce unterbreitet. Artikel a037 ist Beispiel für einen RfD für die Gründung eines Forums de.sci.informatik. In standardisierter Form werden ``Status'', ``Charta'' (inhaltliche Ausrichtung) und ``Hintergrund'' (Begründung für die Notwendigkeit) des Forums angegeben. Im zweiten Schritt findet eine Diskussion über den Vorschlag statt, die bei entsprechend zustimmenden Diskussionsbeiträgen zu einem sog. Call for Vote (CfV) führt. Im dritten Schritt findet die eigentliche Abstimmung innerhalb des Forums de.admin.news.announce (in dem über die Neueinrichtung diskutiert wurde) statt. Jeder kann sich daran mit einem elektronischen Brief beteiligen, dessen Form lediglich den Abstimmungsformalitäten genügen muß (anonyme Briefe sind z.B. ungültig). Das Ergebnis der Abstimmung wird als Result mit einer genauen Beschreibung der neuen oder umstrukturierten Foren und der namentlichen Nennung aller Abstimmungsteilnehmer und ihres Abstimmungsverhaltens bekanntgemacht. Artikel a009 ist das Ergebnis der Abstimmung über die Neuordnung der Diskussionsforen des Bereichs de.sci.* (deutschsprachige wissenschaftliche USENET-Foren). Das Ergebnis der Abstimmung wird konsequent dadurch umgesetzt, daß alle Newsserver verpflichtet sind, die neuen oder umstrukturierten Foren auch tatsächlich einzurichtengif. Die Durchführung der Abstimmung übernehmen Freiwillige, die durch diese Tätigkeit aber keine Sonderbefugnisse bekommen wie etwa die Koordinatoren des FIDONETs.

Diese Basisdemokratie ist den Netzwerkern wichtig. Deshalb äußern sie sich aggressiv und feindselig gegen das, was sie als Bedrohungen des freien demokratischen Informationsaustauschs empfinden. Als Bedrohung werden im Korpus v.a. die drei großen Firmen Microsoft, Intel und Telekom empfunden. Diese Firmen haben in ihren Geschäftsbereichen jeweils monopolartige Stellungen, die in unterschiedlicher Weise dem Anspruch auf ``free flow of information'' zuwiderlaufen.

Die Deutsche Telekom hat in Deutschland immer noch das Monopol auf die Telephon- und damit auf den für den privaten Nutzer wesentlichen Teil der Datenübertragungsleitungen. Die daraus resultierende diktatähnliche Preispolitik führt nicht nur in Netzwerkkreisen immer wieder zu Verärgerungen, dort aber besonders deutlich. In den einschlägigen Datenfernübertragungszeitschriften werden jedem noch so kleinen Anzeichen auf Preiserhöhung ausführliche Kommentare und Analysen gewidmet. Im Korpus finden sich drei Artikel (a025, a105, a163), die sich explizit mit Preisen und Leistungen der Telekom beschäftigen und diese teilweise sehr drastisch kommentieren: ``Wenn schon der Service unter aller Sau ist, dann muss es wenigstens teuer sein! (plus: bescheissen wo's geht!)'' (a163).

Die amerikanische Software-Firma Microsoft vertreibt das Betriebssystem DOS und das gleichsam als erweiterte Shellgif Dazu fungierende Programm WINDOWS, womit inzwischen 80% aller Computersysteme weltweitgif laufen. Das verschafft Microsoft bei der Produktion von Anwendungsprogrammen, die auf der Basis von DOS laufen, Wettbewerbsvorteile, die mittlerweile selbst von der amerikanischen Kartellbehörde skeptisch verfolgt werden. Ohne überhaupt das neue firmeneigene Microsoft-Network in die Betrachtungen einzubeziehen, sehen viele Netzwerker in einer solchen Marktmacht eine Gefahr für den freien Informationsaustausch. In vielen Artikeln finden sich deshalb Polemiken gegen die Firma, ihre Produkte und ihren Gründer und Besitzer Bill Gates.

Beispiele sind der Neologismus ``windoof'' (a019), die Verwünschung ``Der soll in der Hoelle schmoren. Da, wo es richtig heiß ist. Neben Bill Gates.'' (a035) und die Zitatmodifikation ``ceterum censeo MSDOS esse delendam'' (a053)gif.

Der amerikanische Prozessorhersteller Intel hat seine herausragende Marktstellung wie Microsoft als Zulieferer von IBM errungen. Erst seit kurzer Zeit tritt er überhaupt als selbständige Firma in Konkurrenz zu IBM auf. Die Netzwerkpolemik ``Intel Inside - Wir haben das Problem eingekreist.'' (a040) persifliert die Unternehmensstrategie, alle Computer, die einen Prozessor der Firma Intel haben, mit einem kreisförmigen Logo und der Werbeaufschrift ``Intel Inside'' zu versehen. Ähnlich der abwertende Kommentar: ``FATAL ERROR 302: Intel Inside'' (a085).

Die drei letztgenannten Polemiken (a053, a040, a085) sind Bestandteil der Signaturegif. Sie sind in jedem Artikel der entsprechenden Netzwerker zu finden, womit die Feindschaft gegen Intel und Microsoft Teil der individuellen Selbstdarstellung ist.


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